04.03.2024

Sachkunde aufgrund langjähriger Tätigkeit in Bausenat?

von Natalja Gratz

Die längere Tätigkeit eines Richters in einem Bausenat kann ihm nicht ohne weiteres das erforderliche bautechnische Fachwissen verschaffen, sodass auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zwangsläufig aufgrund eigener Sachkunde verzichtet werden kann.

BGH, Beschluss vom 25.10.2023 – VII ZR 17/23

 

Sachverhalt

Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer mit Erbringung der Architektenleistungen der Leistungsphasen 1 bis 4 der HOAI. Infolge der weiteren Vertragsschließung mit der Generalunternehmerin ist dem Auftragnehmer anschließend die Ausführungsplanung der Leistungsphase 5 mündlich übertragen worden. Eine gesonderte Honorarvereinbarung wurde nicht getroffen, sodass der Auftragnehmer von dem Auftraggeber Architektenhonorar für Planungsleistungen nach den Mindestsätzen der HOAI verlangte. Der Auftraggeber ist der Auffassung, dass die Leistungsphase 5 nicht vollständig erbracht sei.

Das Berufungsgericht hat den Antrag des Auftragnehmers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob die Grundleistung der Leistungsphase 5 vollständig erbracht wurde, aufgrund eigener Sachkunde abgelehnt. Die von dem Auftragnehmer für die Leistungsphase 5 erstellten Ausführungspläne seien nicht detailliert genug ausgearbeitet und vermessen. Aus den Zeichnungen können die Mengen und Massen zur Umsetzung der jeweiligen Bauleistungen nicht ermittelt werden.

 

Entscheidung

Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots stellt einen Verfahrensfehler dar, sodass die Entscheidung auf einer unzureichenden Sachaufklärung gemäß § 286 ZPO beruht.

Die Beurteilung auf Vollständigkeit der erbrachten Grundleistung der Leistungsphase 5 ist dem Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zugänglich. Dies folgt aus den verwendeten fachsprachlichen Begriffen, aus dem Erfordernis der „notwendigen zeichnerischen und textlichen Einzelangaben“, aus der vorgeschriebenen Gestaltung der Zeichnungen nach „Art und Größe des Objekts im erforderlichen Umfang und dem Detaillierungsgrad unter Berücksichtigung aller fachspezifischen Anforderungen“ sowie aus der Koordinations- und Integrationspflicht, deren Erfüllung Kenntnisse der beteiligten Gewerke voraussetzt.

Der Tatrichter darf daher auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde aufweist. Allein eine längere Tätigkeit in einem Bausenat kann jedoch nicht ohne weiteres zuverlässige Kenntnisse über das erforderliche bautechnische Fachwissen verschaffen.

Das angefochtene Urteil ist daher aufgehoben und an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung zurückverwiesen worden.

Übersicht