1. Ein Tiefbauunternehmer ist grundsätzlich verpflichtet, sich vor der Ausführung seiner Leistung beim zuständigen Versorgungsunternehmen über die Existenz und den Verlauf von Versorgungsrohrleitungen zu erkundigen und – falls dies zu keinem ausreichend belastbaren Ergebnis führt – sich die erforderliche Gewissheit durch andere geeignete Maßnahmen zu verschaffen.
2. Der von dem Betreiber einer Ferngasleitung mit der Anlage einer Baugrube zur Vorbereitung von Leitungsreparaturarbeiten beauftragte Tiefbauunternehmer handelt nicht deshalb fahrlässig, weil es sich bei den Ausschachtungsarbeiten auf Pläne zum unterirdischen Leitungsverlauf verlässt, die der Betreiber durch ein von ihm beauftragtes Ingenieurbüro nach Beginn der Arbeiten hat erstellen lassen, nachdem sich herausgestellt hat, dass der tatsächliche Leitungsverlauf nicht genau bekannt war, wenn auch diese Pläne den Leitungsverlauf unrichtig wiedergeben und die Leitung infolge der nach den unrichtigen Pläne vorgenommenen Schachtarbeiten undicht wird und explodiert.
OLG Zweibrücken, Urteil vom 28.06.2023 – 7 U 106/21; vorhergehend: LG Frankenthal, 05.05.2021 – 7 O 588/18
Das OLG Zweibrücken hat nach einem tragischen Unfall durch eine in Zusammenhang mit Bauarbeiten entstandene Gasexplosion, in dessen Folge es zu zwei Toten, zwei Schwerverletzten und einem erheblichen Sachschaden kam, zugunsten des Klägers entschieden und ist von einer Alleinhaftung der Betreiberin der Rohrleitungen ausgegangen.
Sachverhalt:
Die Beklagte ist Eigentümerin und Betreiberin einer unterirdisch verlaufenden Ferngasleitung, welche vor Jahren noch als Rohöl-Pipeline errichtet und später in eine Gas-Pipeline umgewandelt wurde. Bei dem Kläger handelt es sich um einen der beiden Schwerverletzen, welcher in der Position eines Baufachwerkers als Mitarbeiter des von der Beklagten mit Schachtungsarbeiten beauftragten Unternehmens. Das mit den Tiefbauarbeiten beauftragte Unternehmen hat sich als Streithelferin beteiligt.
Die genannten Schachtungsarbeiten beinhalteten das Anlegen einer Baugrube bis zu einer Tiefe von 3,5 m. Gemäß der Bestandspläne hat sich die später zur Explosion gekommene Leitung in einer Tiefe von 5,26 bis 5,93 m befunden. Die Pläne der Leitung wurden 2001 aufgrund einer Untersuchung mittels „Molch“ erstellt und wichen aufgrund eines nicht übertragenen Tangentenschnittpunkts um 1,5 m von der realen Lage ab. Am 23. Oktober 2014 kollidierten bei Schachtungsarbeiten Spundwände, die mit einem Abstand von 1,5 m zur vermuteten Leitungslage eingebracht wurden, mit der Leitung. Dies führte zu einer sofortigen Gasentzündung und einer Explosion mit erheblichem Schaden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (05.05. 2021, Az. 7 O 588/18) wurde durch das OLG zurückgewiesen. Unter Berücksichtigung der alleinigen Haftung der Beklagten gemäß §§ 2 Abs. 1, 6 HPflG hat nach Ansicht des OLG das LG die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und Schadensersatzes zu Recht angeordnet.
Entscheidungsgründe:
Das LG hat nach Beurteilung des OLG mit korrekter Argumentation entschieden, dass die Beklagte dem Kläger allein dem Grunde nach gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG haftet, ohne dass ein Ausschlussgrund gemäß § 2 Abs. 3 HPflG greift.
„Wird durch die Wirkungen von Elektrizität, Gasen, Dämpfen oder Flüssigkeiten, die von einer Stromleitungs- oder Rohrleitungsanlage oder einer Anlage zur Abgabe der bezeichneten Energien oder Stoffe ausgehen, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG)“.
Die Streithelferin hat einen kausalen tatsächlichen Verursachungsbeitrag zum Unfallgeschehen am 23.10.2014 geleistet, indem sie die Spundwände bei der Bautätigkeit (Einbringen der Spundwände) installierte. Das OLG betrachtet es hierbei als unerheblich, ob die Streithelferin die Gasleitung direkt beschädigte, was zu Gasaustritt und Explosion führte, oder ob die Bauarbeiten mittelbar dazu führten, dass die Gasleitung aufgrund von Erdverschiebungen und Materialermüdung versagte. Trotz diesem kausalen Verursachungsbeitrag fehlt es jedoch an einem erforderlichen Verschulden der Streithelferin. Vorsätzliches Handeln ist nicht gegeben und die Beklagte behauptete auch kein fahrlässiges Verhalten der Streithelferin, das für eine vertragliche Haftung (§§ 611, 618 BGB) oder eine deliktische Haftung (§§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 S. 1 BGB) notwendig wäre. Die für die vertragliche Haftung vermutete Fahrlässigkeit (gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) wurde widerlegt.
Tiefbauunternehmen haben grundsätzlich die Pflicht, sich vor Erdarbeiten beim zuständigen Versorgungsunternehmen über die Existenz und den Verlauf von Versorgungsrohrleitungen zu informieren. Dies ist aufgrund der häufig unklaren Lage solcher Leitungen im öffentlichen Straßenraum erforderlich. Die Sorgfaltsanforderungen werden durch die Gefahr von Beschädigungen solch unerkannter Leitungen erhöht, die nicht direkt mit den geplanten Erdarbeiten in Verbindung stehen. In diesem Fall unterscheidet sich die Situation jedoch entscheidend. Die Streithelferin wurde nicht von einem Dritten beauftragt, der möglicherweise nicht mit der genauen Lage von Versorgungsleitungen vertraut ist. Stattdessen war die Beklagte, der Betreiber der Versorgungsleitung, der Auftraggeber. Der Auftrag bezog sich auf das Anlegen einer Baugrube zur Vorbereitung der Freilegung der Leitung. In dieser speziellen Situation konnte die Streithelferin davon ausgehen, dass der Leitungsbetreiber den genauen Verlauf der Leitung kennt oder die nötigen Feststellungen selbst trifft. Daher hatte die Streithelferin keinen Anlass, den angegebenen Leitungsverlauf in Frage zu stellen, selbst als sich herausstellte, dass die Verlaufspläne von 1997/2001 ungenau waren.
Fazit und Ausblick:
Die Rechtsprechung stellt regelmäßig hohe Anforderungen an Tiefbauunternehmen bei Arbeiten an gefährlichen Leitungen.
Der Tiefbauunternehmer, der vom Betreiber einer Ferngasleitung beauftragt wurde, eine Baugrube für bevorstehende Leitungsreparaturarbeiten vorzubereiten, handelt jedoch regelmäßig nicht fahrlässig, wenn er sich auf Pläne zum unterirdischen Leitungsverlauf verlässt, sofern diese Pläne vom Betreiber bzw. durch ein von diesem beauftragtes Ingenieurbüro erstellt wurden, selbst nachdem die Arbeiten begonnen haben. Auch wenn sich herausstellt, dass die Pläne den Leitungsverlauf ungenau wiedergeben, liegt nach Ansicht des OLG keine Fahrlässigkeit des Tiefbauunternehmers vor.
Ein Verschulden kann sich jedoch ergeben, wenn der Tiefbauunternehmer explizit mit der Feststellung der unklaren Lage des Verlaufs von Leitungen durch geeignete Maßnahmen beauftragt wurde. Eine solche Beauftragung kann sich neben dem Auftrag selbst auch aus einer Gefährdungsbeurteilung ergeben, die die Prüfung der Leitung auf ausströmendes Gas sowie die Unterweisung der Arbeiter dem Auftragnehmer zuweist.
Den Betreiber der Rohrleitungen trifft eine Betriebsgefahr. Es spielt keine Rolle, ob der Betreiber die Lageermittlung teilweise selbst oder durch ein Ingenieurbüro durchführen lässt, noch ob ihn ein Verschulden an der fehlerhaften Lageermittlung angelastet werden kann. Entscheidend ist, dass es in der Verantwortung des Leitungsbetreibers liegt, den genauen Verlauf zu kennen, zu kennzeichnen und bei Bedarf durch geeignete Maßnahmen rechtzeitig zu ermitteln.
Laura Myllek (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)
Heidelberg