1. Die Ausführung der Leistung ist nach den verbindlichen Fristen (Vertragsfristen) zu beginnen, angemessen zu fördern und zu vollenden. Soll der Auftragnehmer „voraussichtlich“ an einem bestimmten Termin mit der Ausführung beginnen, fehlt es an der für die Annahme einer verbindlichen Vertragsfrist erforderlichen Eindeutigkeit.
2. Haben die Parteien eines VOB/B-Vertrags keinen verbindlichen Beginntermin vereinbart, hat der Auftragnehmer innerhalb von 12 Werktagen nach Aufforderung durch den Auftraggeber mit der Ausführung zu beginnen.
3. Muss der Auftragnehmer ausschließlich Bauleistungen erbringen, kommt es für den Beginn der Ausführung grundsätzlich auf die tatsächliche Arbeitsaufnahme auf der Baustelle an.
3. Verzögert der Auftragnehmer den Beginn der Ausführung, kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Aufnahme der Leistung setzen und die Kündigung androhen. Die Frist kann sehr knapp bemessen sein. Für ihre Bemessung ist nicht die gesamte übliche Zeit für die Arbeitsvorbereitung in Ansatz zu bringen.
4. Der Auftragnehmer muss erst mit der Ausführung beginnen, wenn sämtliche Voraussetzungen für die von ihm zu erbringende Leistung vorliegen, insbesondere erforderliche Vorleistungen. Liegt eine Behinderung des Ausführungsbeginns i.S.v. § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B vor, gerät der Auftragnehmer [Anm.: das OLG Hamburg schreibt hier fälschlicherweise „Auftraggeber“] nicht mit dem Beginn der Ausführung in Verzug.
OLG Hamburg, Urteil vom 23.02.2023 – 4 U 54/22
Gegenstand des vor dem OLG Hamburg geführten Verfahrens war ein Streit der Parteien über die Rückzahlung einer Vorauszahlung. Die Beklagte beauftragte die Klägerin als Nachunternehmerin mit Leistungen im Rahmen eines Bauvorhabens in Hamburg. Die Parteien vereinbarten einen Pauschalfestpreis in Höhe von 170.000,00 €. Von diesem Betrag sollten (und wurden) 60.000,00 € als Vorauszahlung für das zu verbauende Material geleistet werden. Dem Vertrag lag die VOB/B zugrunde.
Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag sah einen Ausführungsbeginn „voraussichtlich 01.04.2020“ vor. Mit E-Mail 09.04.2020 rief die Beklagte die Leistungen der Klägerin ab und benannte einen Ausführungsbeginn. Die Klägerin zeigte an, dass ein Arbeitsbeginn nicht möglich sei. Auf nochmalige Aufforderung zur Leistungserbringung durch die Beklagte teilte die Klägerin mit, dass eine notwendige Vor-Leistung nicht von ihr geschuldet ist und legte ein Nachtragsangebot vor. Nach einer nochmaligen Nachfristsetzung durch die Beklagte beauftragte diese einen Nachtragsauftrag betreffend Zulagen. Die Klägerin bestätigte daraufhin den 04.05.2020 als Arbeitsbeginn. Nachdem am 04.05.2020 niemand für die Klägerin erschien, setzte die Beklagte eine Nachfrist auf den 05.05.2020. Nachdem auch an diesem Termin niemand erschien, setzte die Beklagte wiederum eine Nachfrist bis zum 06.05.2020, 13.00 Uhr, und drohte die Kündigung des Bauvertrages an. Am 06.05.2020 erschien ein Nachunternehmer der Klägerin auf der Baustelle, dessen Einsatz der Beklagten jedoch nicht angezeigt und von dieser nicht genehmigt wurde.
Die Beklagte kündigte daraufhin schriftlich den Bauvertrag aus wichtigem Grund wegen nicht erfolgter Aufnahme der Leistungen. Die Klägerin widersprach der Kündigung am 08.05.2020 und stellte Schlussrechnung mit Datum vom 28.05.2020 über 60.000,00 € für Material.
Das LG Hamburg wies die auf Feststellung gerichtete Klage, dass der Beklagten kein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 59.220,00 € gegen die Klägerin zustehe, ab.
Das OLG Hamburg hat die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin zurückgewiesen sowie der nach Schluss der mündlichen Verhandlung in 1. Instanz eingegangene Widerklage der Beklagten auf Zahlung von 60.000,00 € stattgegeben.
Das LG und das OLG sehen einen Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der geleisteten Vorauszahlung als gegeben. Nach Ansicht des OLG war die Kündigung der Beklagten aus wichtigem Grund vom 07.05.2020 wirksam.
Die Klägerin hatte nicht bereits am 01.04.2020 mit der Ausführung der Arbeiten zu beginnen. Aufgrund der im Vertrag gewählten Formulierung „voraussichtlich 01.04.2020“ fehlt es an der für eine Vertragsfrist erforderlichen Eindeutigkeit. Durch den erfolgten Abruf, war die Leistung jedoch gemäß § 5 Abs. 2 S.2 VOB/B zwölf Werktage später, d.h. am 24.04.2020, aufzunehmen. Hindernde Umstände wurden nicht schlüssig durch die Klägerin dargelegt. Das OLG sah die Klägerin auch nicht dergestalt in der Leistungserbringung behindert, dass diese keinerlei Arbeiten hätte erbringen können. Die Klägerin hätte in jedem Fall die Duschbereiche bearbeiten können. Auch war keine einvernehmliche Verschiebung des Ausführungsbeginns gegeben. Die Klägerin konnte nicht darlegen, dass sich die Beklagte mit einer solchen Verschiebung einverstanden erklärt hatte.
Die Klägerin befand sich daher jedenfalls aufgrund des Mahnschreibens der Beklagten vom 27.04.2020 in Verzug. Die mit Schreiben vom 05.05.2020 gesetzte Nachfrist war – trotz der kurzen Tagesfrist – angemessen. Zwar gesteht das OLG der Klägerin auch einen Zeitraum für die Arbeitsvorbereitung zu, die Nachfrist ist aber auch ohne Berücksichtigung des Zeitraumes für die Arbeitsvorbereitung angemessen, da die Auftragnehmerin bereits den Zeitraum ab dem ersten Mahnschreiben zur Vornahme der Arbeitsvorbereitung zur Verfügung hatte. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da die Klägerin selbst den 04.05.2020 als Ausführungsbeginn bestätigte und daher davon ausgegangen werden konnte, dass die Arbeitsvorbereitungen entsprechend abgeschlossen sind.
Die gesetzte Nachfrist ist auch fruchtlos verstrichen. Eine Arbeitsaufnahme ist zum Zeitpunkt des Fristablaufes nicht erfolgt. Insbesondere ist eine Arbeitsaufnahme und somit ein Arbeitsbeginn nicht dadurch gegeben, dass der Auftragnehmer oder dessen Subunternehmer auf der Baustelle erscheint. Es ist vielmehr erforderlich, dass eine tatsächliche Arbeitsaufnahme erfolgt. Hierbei ist zu berücksichtigen, welche konkreten Tätigkeiten der Auftragnehmer zu erbringen hat. Im vorliegenden Fall war die Klägerin verpflichtet, die Baustelle mit vier bis zehn Arbeitskräften zu besetzen. Dies ist nicht erfolgt.
Die Kündigung aus wichtigem Grund war aufgrund des nicht erfolgten Arbeitsbeginns wirksam.
Die Entscheidung des OLG Hamburg beschäftigt sich mit Kernthemen der VOB/B:
Wann liegt eine verbindliche Vertragsfrist vor? Eine solche muss für die Parteien eindeutig sein, dies ist jedenfalls nicht bei einem „voraussichtlichen“ oder „ca.“ Termin gegeben. Da in den Verhandlungsprotokollen oftmals ca.-Termine genannt sind, muss zwingend ein Abruf durch den Auftraggeber erfolgen, um einen verbindlichen Arbeitsbeginn zu erhalten.
Wann ist ein Arbeitsbeginn gegeben? Jedenfalls nicht, indem einfach ein Arbeiter auf der Baustelle erscheint. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Arbeitsaufnahme und die Erbringung der nach dem Bauvertrag konkret geschuldeten Tätigkeiten an.
Kann auch eine 1-Tages-Frist für den Beginn der Ausführung angemessen sein? Je nach Einzelfall. In Bezug auf den Beginn der Ausführung muss im Rahmen der Bemessung nicht die gesamte übliche Zeit für die Arbeitsvorbereitung in Ansatz gebracht werden, sodass auch eine 1-Tages-Frist angemessen sein kann. Selbst im Falle der Unangemessenheit der Frist muss berücksichtigt werden, dass eine unangemessen kurze Frist eine angemessene Frist in Lauf setzt, vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 12.08.2009 – VIII ZR 254/08. Es ist leider ein weit verbreiteter Irrglaube, dass unangemessen kurze Fristen dazu führen würden, dass Fristen „obsolet“ und keine Rechtswirkung entfalten würden. Auch auf unangemessen kurze Fristen sollte daher reagiert werden.
Kommt der Auftragnehmer im Falle einer Behinderung nicht in Verzug mit der Ausführung? Nur wenn die Behinderung dazu führt, dass der Auftragnehmer keinerlei Leistungen erbringen kann. Der Auftragnehmer muss hierbei alles ihm billigerweise Zumutbare tun, um den Beginn der Arbeiten zu ermöglichen. Notfalls muss der Auftragnehmer auch andere Arbeiten vorziehen, sofern ihm dies möglich ist.