21.05.2024

Fristlose Kündigung wegen Äußerungen in einer privaten Chatgruppe

von Lena Weitze

Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen über Betriebsangehörige in einer aus sieben Teilnehmern bestehenden privaten Chatgruppe bedarf es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten durfte, seine Äußerungen würden von keinem Beteiligten an Dritte weitergegeben.

BAG, Urteil vom 24.08.2023 – 2 AZR 17/23

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten u.a. über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der Kläger arbeitete seit 1999 bei der Beklagten, die etwa 2.100 Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als Gruppenleiter Lagerlogistik.

Der Kläger war seit 2014 mit weiteren fünf, zeitweise sechs, aktiven und ehemaligen Arbeitnehmern der Beklagten Mitglied in einer WhatsApp-Chatgruppe. Die Gruppenmitglieder waren langjährig befreundet, zwei von ihnen sogar miteinander verwandt. Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch verschiedene andere Gruppenmitglieder – in beleidigender, fremdenfeindlicher, sexistischer und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Kollegen und rief teilweise sogar zu Gewalt gegen diese auf.

Nachdem ein Gruppenmitglied einem Kollegen den Chatverlauf gezeigt und dieser eine Kopie davon angefertigt hatte, erlangte die Beklagte Kenntnis von der Existenz der Chatgruppe und deren Inhalten.

Daraufhin kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31.03.2022.

Nach Ansicht der Beklagten habe der Kläger durch die Äußerungen in der Chatgruppe seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend verletzt. Der Kläger ist der Ansicht, der Inhalt des Chatverlaufs sei nicht verwend- bzw. verwertbar, da es sich um einen reinen privaten Austausch gehandelt habe.

Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

 

Entscheidung

Die Revision der Beklagten hatte vor dem BAG Erfolg.

Bereits das LAG hatte angenommen, dass die Äußerungen des Klägers für sich genommen einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellen können.

Anders als die Vorinstanz hat das BAG allerdings keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers angenommen. Eine Vertraulichkeitserwartung ist nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können. Dies sei im Einzelfall zu prüfen und insbesondere abhängig vom Inhalt der ausgetauschten Nachrichten, der Größe der Chatgruppe sowie der Zusammensetzung ihrer jeweiligen Mitglieder.

Sofern die Nachrichten beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige enthalten, bedürfe es einer besonderen Darlegung durch den Kläger, warum er berechtigt erwarten konnte, dass jedes Mitglied der Chatgruppe die Inhalte der Nachrichten vertraulich behandeln werde.

Aus diesen Gründen hat das BAG die Sache an das LAG zurückverwiesen und diesem aufgegeben, weitere Feststellungen dahingehend zu treffen, ob und inwieweit der Kläger davon ausgehen konnte, dass die Inhalte der Chatgruppe nicht nach außen getragen würden. Die berechtigte Vertraulichkeitserwartung ist vom Kläger darzulegen.

 

Praktische Bedeutung

Die instanzgerichtliche Rechtsprechung bewertete bislang nicht einheitlich, ob beleidigende, fremdenfeindliche, sexistische und menschenverachtende Äußerungen in privaten, geschlossenen Chatgruppen eine Kündigung rechtfertigen können.

Das BAG ging in vorangegangenen Entscheidungen jedenfalls in Bezug auf private Gespräche im Kollegenkreis hinsichtlich ehrverletzender Äußerungen über Mitarbeiter und Vorgesetzte von einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung aus (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 534/08).

Für die private Kommunikation in Chatgruppen gilt nach der Rechtsprechung des BAG nun etwas anderes. Das Gericht verneint die berechtigte Vertraulichkeitserwartung grundsätzlich. Damit hat das BAG die Hürden für eine außerordentliche Kündigung in derartigen Fällen deutlich gesenkt. Um mit einer Kündigungsschutzklage dennoch Aussicht auf Erfolg zu haben, bedarf es einer besonderen Darlegung des Arbeitnehmers, weshalb er den Chat für einen vertraulichen Gesprächskreis hielt und auch halten durfte. Allein die langjährige Freundschaft und teilweise Verwandtschaft der Chatgruppenmitglieder genügt nach Ansicht des BAG nicht für die Annahme einer berechtigten Vertraulichkeitserwartung.

 

Handlungsempfehlungen

Die Entscheidung bedeutet für Arbeitgeber auch, dass diese grundsätzlich verpflichtet sind, Vorwürfen über derartige Äußerungen ihrer Arbeitnehmer nachzugehen. Der bloße Umstand, dass die Äußerungen in privaten Chatgruppen erfolgt sind, steht dieser Verpflichtung nicht entgegen.

Der Arbeitgeber hat daraufhin die zulässigen arbeitsrechtlichen Sanktionen zu prüfen. Diese richten sich insbesondere nach der Intensität der konkreten Äußerungen des Arbeitnehmers. Im Einzelfall könnten auch lediglich mildere Mittel wie bspw. eine Abmahnung in Betracht kommen. Eine Kündigung ist (weiterhin) stets das „letzte Mittel“ (sog. ultima ratio).

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