Mit Urteil vom 28.11.2024 (RS. C-622/23) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass (auch) diejenige Vergütung, die ein Auftragnehmer für nicht erbrachte Leistungen erhält, umsatzsteuerpflichtig ist.
Das Urteil des EuGH erging im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, mit dem der (österreichische) OGH den EuGH zur Auslegung der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinie befasst hatte. Hintergrund dieses Vorabentscheidungsverfahrens war ein Rechtsstreit, in dem ein Auftragnehmer Vergütung gegen den Auftraggeber eingeklagt hatte.
Die rhtb: projekt gmbh (im Folgenden: „rhtb“) war von der Parkring 14-16 Immobilienverwaltung GmbH („Parkring“) mit Bauleistungen für ein Immobilienprojekt beauftragt worden. Nach Beginn der Arbeiten hatte Parkring der rhtb mitgeteilt, dass sie aus von rhtb nicht zu vertretenden Gründen nicht mehr wünsche, dass rhtb dieses Projekt durchführe. Weil das österreichische Recht mit Art. 1168 Abs. 1 ABGB eine dem deutschen Recht (§ 648 S. 2 BGB) sehr ähnliche Bestimmung für den Fall kennt, dass Leistungen aus vom Auftragnehmer nicht zu vertretenden Gründen nicht (mehr) erbracht werden, verlangte rhtb von Parkring im Ergebnis für die nicht mehr zu erbringenden Leistungen die vereinbarte Vergütung abzüglich ersparter Aufwendungen – einschließlich der auf diesen Teil der Vergütung entfallenden Mehrwertsteuer.
Gegenstand des Vorlageverfahrens war nun die Frage, ob derjenige Teil der Vergütung, der auf die nicht erbrachten Leistungen entfällt, der Umsatzsteuer unterliegt oder nicht.
Der EuGH urteilt hierzu in Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass jedenfalls in einem Fall wie demjenigen, der der Vorlagefrage zugrunde lag, der Vergütung insgesamt eine umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtigen Leistung zugrunde liegt; danach ist die gesamte Vergütung einschließlich derjenigen für nicht erbrachte Leistungen der Umsatzsteuer unterworfen. Der Anspruch aus Art. 1168 Abs. 1 ABGB sei insbesondere auch kein (pauschaler) Schadensersatz, der nicht der Umsatzsteuer unterfalle.
Mindestens auf den ersten Blick steht diese Entscheidung des EuGH in einem Konflikt zur deutschen Rechtsprechung.
Die vom EuGH beurteilte österreichische Bestimmung entspricht in ihrer (wirtschaftlichen) Rechtsfolge im Wesentlichen dem deutschen § 648 S. 2 BGB. Nach dieser Bestimmung steht dem Unternehmer nach einer freien Kündigung eines Werkvertrags durch den Auftraggeber die vereinbarte Vergütung zu; er muss sich jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.
Nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung unterfällt aber derjenige derjenige Teil der Vergütung, die auf die kündigungsbedingt nicht erbrachten Leistungen entfällt, nicht der Umsatzsteuer, weil der Anspruch gemäß § 648 S. 2 BGB entschädigungsähnlichen Charakter dafür hat, dass dem Auftragnehmer durch die (freie) Kündigung des Auftraggebers die Möglichkeit genommen wird, die volle Vergütung zu verdienen. Insoweit fehle es an einem umsatzsteuerrechtlich erforderlichen Leistungsaustausch. Der Auftragnehmer hat deshalb nach der bisherigen Rechtspraxis in Deutschland in seiner Rechnung die Vergütung für erbrachte von der Vergütung für nicht erbrachte Leistungen abzugrenzen und nur die Vergütung für erbrachte Leistungen mit Umsatzsteuer zu beaufschlagen (so z.B. aus der finanzgerichtlichen Rechtsprechung BFH, Urteil vom 26.08.2021 – V R 13/19; aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung BGH, Urteil vom 22.11.2007 – Az. VII R 83/05).
Ob und wenn ja wie sich die jüngste Entscheidung des EuGH auswirkt und wie insbesondere die deutsche Finanzverwaltung mit dieser Entscheidung umgeht, bleibt abzuwarten. Unter anderem wird sich die Frage stellen, ob die zivilrechtliche Auffassung, der Anspruch gemäß § 648 S. 2 BGB sei entschädigungsähnlich und keine „echte“ Vergütung – damit umsatzsteuerrechtlich kein Entgelt – vor dem Hintergrund der Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie durch den EuGH auch europarechtlich trägt und ob die Finanzverwaltung – falls nicht – für Altfälle Übergangsregelungen schafft.
Einstweilen wird bei der Abrechnung gekündigter Bauverträge und der Geltendmachung von Ansprüchen für nicht erbrachte Leistungen daran zu denken sein, Vorsorge für den Fall zu treffen, dass auch diejenige Vergütung, die auf nicht erbrachte Leistungen entfällt, von den Finanzbehörden künftig als umsatzsteuerpflichtig behandelt werden könnte. Auftragnehmer sind gut beraten, hierzu Abreden mit ihren Auftraggebern zu treffen und – wo sie nicht möglich sind – vorsorglich an eine Feststellungsklage zu denken.