Welche Rechtsfolgen die Vereinbarung einer einverständlichen Vertragsaufhebung hat, ist durch Auslegung zu ermitteln:
OLG Stuttgart, Urteil vom 12.12.2023 – 10 U 22/23
Sachverhalt
Die Parteien haben einen VOB/B-Werkvertrag geschlossen. Im weiteren Verlauf kam es zu diversen Verzögerungen. Auf die Aufforderung der Auftraggeberin zur Wiederaufnahme ihrer noch nicht abgeschlossenen Tätigkeit reagierte der Auftragnehmer mit einer Behinderungsanzeige. Im Anschluss an ein gemeinsames Gespräch forderte die Auftraggeberin den Auftragnehmer zur Abrechnung nach dem derzeitigen Leistungsstand auf. Der Auftragnehmer erstellte eine Schlussrechnung für nicht erbrachte Leistungen nach § 8 Abs. 1 VOB/B unter Abzug der ersparten Aufwendungen.
Entscheidung
Der Auftragnehmerin steht der geltend gemachte Anspruch nach § 8 Abs. 1 VOB/B zu.
Eine ausdrücklich erklärte einseitige Kündigungserklärung der Auftraggeberin liegt zwar nicht vor; jedoch hat die Auftraggeberin selbst vorgetragen, dass ihre Aufforderung, nach derzeitigem Leistungsstand abzurechnen, als Kündigungserklärung verstanden werden kann.
Abgesehen davon kann auch die Vereinbarung einer einverständlichen Vertragsaufhebung die Folgen des § 8 Abs. 1 VOB/B auslösen. Eine Vereinbarung, die keine Regelung für die Folgen enthält, ist anhand der Umstände des Einzelfalls auszulegen. Die Auslegung ergibt im hiesigen Fall, dass die Parteien sich im Grundsatz darüber geeinigt haben, dass die Auftragnehmerin ihre nicht erbrachten Leistungen gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B 2012 (sog. große Kündigungsvergütung) abrechnen kann.
Praxishinweis
Wenn statt einer Kündigung die Vereinbarung einer einverständlichen Vertragsaufhebung getroffen wird, sollte darin eine Regelung für die konkreten Rechtsfolgen enthalten sein. Fehlt in der Vereinbarung eine solche Regelung, sind die Rechtsfolgen im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dies birgt die Gefahr, dass die Vertragsaufhebung wie eine freie Kündigung den Anspruch auf die sog. große Kündigungsvergütung nach § 8 Abs. 1 VOB/B auslöst.