1. Ein Werk ist mangelfrei, wenn es im Zeitpunkt der Abnahme (auch) den anerkannten Regeln der Technik entspricht. DIN-Normen kommt generell keine Rechtsnormqualität zu. Es handelt sich um „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“, die nicht aus sich heraus die allgemein als gültig anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. DIN-Normen können auch hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben.
2. DIN-Normen haben die Vermutung in sich, die allgemeinen Regeln der Technik wiederzugeben. Diese Vermutung führt zu einer echten Beweislaständerung mit der Folge, dass derjenige, der eine DIN-Norm „zu Fall bringen“ will, beweispflichtig ist. Der Beweis kann durch ein Sachverständigengutachten geführt werden.
3. Der Unternehmer, der nach Vertragsschluss, aber während der Bauausführung erkennen kann, dass sich die anerkannten Regeln der Technik geändert haben und dass seine Leistung bei Abnahme deshalb nicht (mehr) den anerkannten Regeln der Technik entsprechen wird, muss den Besteller auf diesen Umstand hinweisen.
OLG Dresden, Urteil vom 16.08.2022 – 14 U 1140/21; BGH, Beschluss vom 15.02.2023 – VII ZR 167/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen)
Das OLG Dresden hat sich mit praxisrelevanten Fragen zu der Definition der allgemein anerkannten Regeln beschäftigt. Es hatte in dem vorgenannten Verfahren über einen Rückzahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagten zu entscheiden. Der Kläger beauftragte die Beklagten mit dem Rückbau und der Neuerrichtung der Dachschalung und der Neuerrichtung der Dachabdichtung eines Trocknungsschuppens. Der Kläger wollte in dem Trocknungsschuppen Gerätschaften und Feuerholz unterstellen, dies war auch den Beklagten bekannt.
Es sollte hierbei lediglich eine Reparatur und keine Neuerrichtung des Daches erfolgen, um den Bestandsschutz des Trocknungsschuppens nicht zu gefährden. Die zunächst im Vertrag mit dem Beklagten zu 1) enthaltenen Leistungen im Zusammenhang mit der Dachabdichtung wurden einvernehmlich auf den Beklagten zu 2) übertragen.
Der Kläger behauptete, dass die von den Beklagten errichtete Dachschalung mangelhaft sei. Er berief sich darauf, dass die Ausführung der Dachschalung mit gespundeten Brettern mit Nut und Feder hätte erfolgen müssen, anstatt, wie vom Beklagten vorgenommen, mittels Glattkantbrettern. Ein Privatgutachten des Klägers bestätigte die Mängelbeschreibung. Der Kläger forderte die Beklagten zur Mängelbeseitigung auf und lehnte zudem die Abnahme des Werkes ab. Schließlich kündigte er den Vertrag. Die Beklagten lehnten eine Mängelhaftung ab und verwiesen darauf, dass die Dachschalung mangelfrei errichtet worden sei.
Der Kläger begehrte in dem Verfahren die Rückzahlung bereits erfolgter Abschlagszahlungen sowie die Zahlung weiterer entstandener Schäden nebst Feststellung der Einstandspflicht für weitere Schäden. Jedoch erfolglos!
Kernthema der Entscheidung war hierbei die Frage, ob die erbrachten Leistungen der Dachschalung mangelhaft waren. Es drehte sich hierbei um die Frage, ob die seitens des Beklagten zu 1) vorgenommene Ausführung mithilfe von Glattkantbrettern den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprach oder ob eine Ausführung mit Nut und Feder hätte erfolgen müssen.
Das OLG Dresden führt hierzu zutreffend aus, dass ein Werk, sofern eine Beschaffenheit nicht vereinbart ist, „für eine gewöhnliche Verwendung geeignet sein und eine Beschaffenheit aufweisen [muss], die üblich ist und von dem Besteller nach der Art des Werkes erwartet werden kann. (bspw. BGH BauR 2003, 533). Der Unternehmer schuldet ein funktionsgerechtes Werk, das den anerkannten Regeln der Technik entspricht (BGH NJW 2006, 3413).“
Zwischen den Parteien war hierbei streitig, ob die Leistungen nach der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Fachregeln für Dachabdichtungen (Flachdachrichtlinie) DIN 18531, welche eine Dachschalung mit Nut und Feder vorgesehen hätte, zu erbringen waren.
Nach ständiger Rechtsprechung hat die Werkleistung im Zeitpunkt der Abnahme ordnungsgemäß und mangelfrei zu sein. Es gelten daher die zum Zeitpunkt der Abnahme geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit und Mangelfreiheit.
Im vorliegenden Fall ist eine Abnahme nicht erfolgt, es war daher auf den Zeitpunkt der endgültigen Verweigerung der Abnahme abzustellen. Die Flachdachrichtlinie DIN 18531 sah zu diesem Zeitpunkt keine Verwendung von gehobelten und gespundeten Brettern mehr vor, die einzige Ausnahme lag im streitgegenständlichen Fall nicht vor.
Das OLG Dresden stellt in diesem Zusammenhang klar, dass – auch wenn die Flachdachrichtlinie allgemein anerkannte Regeln der Technik darstellt – DIN-Normen generell keine Rechtsnormqualität zukommt. DIN-Normen stellen vielmehr „private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter“ dar, welche nicht zwingend allgemein anerkannte Regeln der Technik abbilden.
Der Begriff der allgemein anerkannten Regeln der Technik geht DIN-Normen, also die allgemeinen technischen Vorschriften, hinaus und diesen somit vor. DIN-Normen können die anerkannten Regeln der Technik widerspiegeln, jedoch auch hinter ihnen zurückbleiben. Maßgebend für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit und Mangelfreiheit einer Leistung ist daher, ob die Leistung zum Zeitpunkt der Abnahme den allgemein anerkannten Regeln der Technik entspricht und nicht, welche DIN-Norm gilt, vgl. BGH Urteil vom 14.05.1998, BGHZ 139, 16ff).
Hierbei gilt jedoch zu beachten, dass grundsätzlich vermutet wird, dass DIN-Normen die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben. Hierdurch ist eine echte Beweislaständerung gegeben: Derjenige, der eine DIN-Norm zu Fall bringen will, ist daher beweispflichtig dahingehend, dass diese nicht die allgemein anerkannten Regeln der Technik wiedergeben.
Da dies den Beklagten im streitgegenständlichen Fall gelungen ist, ist die Leistung von diesen ordnungsgemäß und mangelfrei, sodass der Klägerin keinerlei Ansprüche aufgrund eines Mangels geltend machen kann.
Auch das Berufen des Klägers darauf, der Beklagte zu 1) habe auf die nach Vertragsschluss erfolgte Änderung der Flachdachrichtlinie hinweisen müssen, führt nicht zu einer anderen Bewertung. Die Leistung ist wie bereits ausgeführt ordnungsgemäß und mangelfrei erbracht.
Die seitens des Klägers genannte Hinweispflicht des Unternehmers, der nach Vertragsschluss aber während der Bauausführung eine Änderung der allgemein anerkannten Regeln der Technik erkennen konnte, gilt nur für den Fall, dass seine Leistungen bei Abnahme aufgrund der Änderungen nicht (mehr) dem Stand der Technik entsprechen wird. Dies gilt insbesondere, wenn aufgrund der Änderungen eine abgeänderte Bauausführung einhergeht und hiermit Zusatzkosten verbunden sind. Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor.
Die Klage wurde daher zu Recht abgewiesen.
Die Kernthemen der Entscheidung lassen sich hierbei wie folgt zusammenfassen:
Auf welchen Zeitpunkt ist bei der Beurteilung der anwendbaren allgemein anerkannten Regeln der Technik abzustellen? Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der Abnahme. Das Werk hat den zum Zeitpunkt der Abnahme geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen.
Stellen DIN-Normen allgemein anerkannte Regeln der Technik dar? Es besteht eine Vermutung dahingehend, dass DIN-Normen (zumindest soweit sie sicherheitstechnische Festlegungen treffen, vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.02.2023 – 5 U 227/21) allgemein anerkannte Regeln der Technik wiedergeben, jedoch können DIN-Normen hinter allgemein anerkannte Regeln der Technik zurückbleiben, mithin überholt sein. Der Unternehmer kann aufgrund der echten Beweislaständerung den Beweis dahingehend führen, dass die DIN-Normen keine allgemein anerkannten Regeln der Technik darstellen.
Muss der Unternehmer auf nach Vertragsschluss erfolgende Änderungen der allgemein anerkannten Regeln der Technik hinweisen? Sofern die Änderungen für ihn erkennbar waren und die Änderungen dazu führen, dass sein Werk im Zeitpunkt der Abnahme nicht (mehr) den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, muss er den Besteller auf diesen Umstand hinweisen.