20.10.2022

Vorunternehmer in Verzug: Haftet der AG?

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a) Das Unterlassen eines Leistungsabrufs ist keine leistungsändernde Anordnung des Auftraggebers, sondern allenfalls eine vertragswidrige Behinderung der Ausführung. Auch die Mitteilung an den Auftragnehmer, es lägen veränderte (Bau-)Umstände vor, stellt keine vertragsändernde Anordnung dar.

b) Das Recht des Auftraggebers zum Abruf der Vertragsleistung ist eine echte Nebenpflicht, die ihn zur Mitwirkung verpflichtet. Hat er die Verzögerung des Abrufs zu vertreten, kann der Auftragnehmer Schadensersatz geltend machen.

c) Der Vorunternehmer ist kein Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers im Verhältnis zum Nachfolgeunternehmer. Der Auftraggeber muss sich deshalb eine schuldhafte Leistungsverzögerung des Vorunternehmers nicht zurechnen lassen.

d) Der Entschädigungsanspruch nach § 642 BGB umfasst nicht die Mehrkosten wie gestiegene Lohn- und Materialkosten, die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers infolge Unterlassens einer ihm obliegenden Mitwirkungshandlung, aber erst nach dessen Beendigung anfallen, nämlich bei Ausführung der verschobenen Werkleistung (Anschluss an BGH, Urteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17).

OLG Hamburg, Urteil vom 27.11.2020 – 8 U 7/20; BGH, Beschluss vom 27.10.2021 – VII ZR 11/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

 

Der Auftragnehmer (AN) wurde am 06.03.2015 unter Einbeziehung der VOB/B mit der Ausführung von Parkett- und Bodenbelagsarbeiten zu einem Pauschalpreis beauftragt. Nach dem Vertrag sollten die Leistungen vom Auftraggeber (AG) spätestens bis Ende März (Parkettarbeiten) bzw. Anfang Mai 2015 (Bodenbelagsarbeiten) abgerufen werden. Aufgrund verzögerter Vorgewerke konnte der AN die Arbeiten erst ab Februar 2016 ausführen. Aufgrund gestiegener Materialpreise verlangte er eine um 7,5 % erhöhte Vergütung. Das Landgericht wies die Klage des AN insoweit ab.

Die Berufung des AN hat diesbezüglich ebenfalls keinen Erfolg. Das OLG befindet das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis für richtig. Der AN habe gegen den AG unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf einen um 7,5 % erhöhten Pauschalpreis wegen Erhöhung von Lohn- und Materialkosten.

Die bloße Mitteilung des AG, die Umstände hätten sich verändert, sei nicht als vertragsändernde Anordnung im Sinn von § 2 Abs. 5 VOB/B zu werten. Dafür sei zumindest ein Verhalten des AG notwendig, aus dem eine rechtsgeschäftliche Anordnung abzuleiten ist. In jedem Fall müsse stets ein echtes, aktives Einwirken des AG auf den Vertrag feststellbar sein. Das Unterlassen eines Leistungsabrufs stelle keine rechtsgeschäftliche Anordnung des AG dar (BGH, Urteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17, Rn. 40), sondern allenfalls eine vertragswidrige Behinderung der Ausführung (§ 6 VOB/B). Allgemein gelte, dass vertragswidrige Eingriffe nicht durch die Begründung von Vergütungsansprüchen, sondern durch Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche zu sanktionieren seien. Diese Systematik liege auch der VOB/B zugrunde. Ein Schadensersatzanspruch des AN nach § 6 VOB/B wiederum setze voraus, dass der AG die Behinderung zu vertreten, er also vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe (§ 6 Abs. 6 Satz 1 VOB/B). Zwar sei der AG verpflichtet, die Vertragsleistung rechtzeitig abzurufen; ein schuldhaftes Verhalten des AG sei jedoch hier nicht erkennbar. Insbesondere sei das Verschulden des Vorunternehmers dem AG nicht zurechenbar, weil dieser nicht sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) sei (BGH, Urteil vom 21.10.1999 – VII ZR 185/98). Zwar habe der AN auch bei einem vom AG nicht zu vertretenden Annahmeverzug Ersatzansprüche nach § 642 BGB. § 642 BGB gewähre jedoch nach der Rechtsprechung des BGH keinen Anspruch auf Mehrkosten, die dem AN (wie hier die Lohn- und Materialmehrkosten) erst nach Wegfall der Behinderung entstehen (BGH, Urteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17, Rn. 18; BGH, Urteil vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19, Rn. 42).

Diese Würdigung des OLG steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH. Angesichts der bekannten, aus dem vorliegenden Urteil noch einmal deutlich werdenden Schwierigkeiten für den AN, Mehrvergütungsansprüche wegen Bauzeitverzögerungen durchzusetzen, ist dem AN nicht nur zu raten, in solchen Fällen dem AG rechtzeitig Behinderung anzuzeigen. Vielmehr sollte der AN auch eine Kündigung des Bauvertrags wegen Annahmeverzugs des AG nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B bzw. beim BGB-Vertrag nach §§ 642, 643 BGB in Betracht ziehen. Diese Kündigungsmöglichkeit setzt gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 VOB/B bzw. § 643 BGB voraus, dass dem AG zuvor ohne Erfolg eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung gesetzt und die Kündigung angedroht wurde. Beim VOB/B-Vertrag ist die Kündigung – wie jede Kündigung – schriftlich zu erklären (§ 9 Abs. 2 Satz 1 VOB/B; § 650h BGB). Beim BGB-Vertrag ist zu beachten, dass keine Kündigungserklärung mehr erforderlich ist, sondern mit Ablauf der gesetzten angemessenen Frist der Vertrag kraft Gesetzes als aufgehoben gilt; das bedeutet gleichzeitig, dass der AN in diesem Fall nach einmal erfolgter Fristsetzung gemäß § 643 BGB keine Möglichkeit mehr hat, einseitig das Vertragsende zu verhindern.

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